08.10.2012

Harmonie #05 - Gleichstufige Intervalle

Dies ist der zweite Teil des Themas »Intervalle«. Den ersten Teil findest du in Post #04.

Tonleitern


Passen wir nun unsere Dur- und Moll-Tonleitern in das System der reinen Stimmung ein. Bei (J) kannst du an der C-Dur- und C-Moll-Tonleiter sehen, wie groß die einzelnen Schritte von Ton zu Ton in den Tonleitern sind. Es fällt auf, dass die chromatiaschen Halbtonschritte verschwunden sind. Stattdessen gibt es jetzt zwei verschieden große »Ganztöne«. Jeder von ihnen besteht aus dem diatonischen Halbton (der kleinen Sekunde) und einem der beiden chromatischen Halbtöne.




In diesen den Tonleitern gibt es also jetzt:
  • 3 große Ganttöne (GGT, orange): C-D, F-G und A-H;
  • 2 kleine Ganztöne (KGT, grün): D-E und G-A;
  • 2 diatonische Halböne (große Halbtöne, GHT, hellblau): E-F und H-C.
Nur die Reihenfolge ist bei Dur und Moll verschieden.

Rein oder nicht rein, das ist hier die Frage


Das Problem mit der reinen Stimmung fällt auf, wenn man Akkorde spielt. »Akkorde« heißt es, wenn man mehrere Töne zusammen spielt. Unter den Akkorden gibt es besondere, die man »Dreiklänge« nennt. Sie bestehen aus einer großen und einer kleinen Terz, beim C-Dur-Dreiklang ist das C-E-G. Bei C-Moll ist es umgekehrt, hier kommt die kleine Terz zuerst: C-Es-G. Diese Dreiklänge empfinden wir als besonders wohlklingend. Bei (J) sind die Töne der Dreiklänge mit blauen Strichen gekennzeichnet.

Nehmen wir jetzt einmal unser in C-Dur rein gestimmtes Instrument und spielen darauf einen D-Moll-Dreiklang, D-F-A. Bei (K) kannst du sehen, was passiert. Der Grundton ist D (blauer Strich). Wenn wir von da aus unsere Ganz- und Halbtöne nach dem Muster von C-Moll einzeichnen, stimmen die Töne F und A nicht mehr genau (violette Striche). Das ist auch deutlich hörbar – insbesondere bei A, das die Quinte zu D ist –, weil unser Ohr für Quinten besonders empfindlich ist. Auch einige andere Intervalle treffen, von D aus gerechnet, die Töne nicht genau (graue Striche), z.B. ist die große Sekunde von D nach E ein kleiner Ganzton statt ein großer.

Als weiters Beispiel habe ich bei (K) auch den E-Dur-Dreiklang eingetragen. Hier stimmt zwar die Quinte E-H (blau), aber Gis (violett), die große Terz zu E, stimmt ganz und gar nicht. Gis kommt nämlich gar nicht vor (wie wir bereits bei (I) in Post #04 gesehen haben) und wir müssten stattdessen ein As spielen.


Die folgende Akkordfolge enthält mehrere Akkorde, die unrein klingen, darunter auch das angesprochene
D-Moll und E-Dur.


         Akkordfolge mit unreinen Akkorden

Pythagoras und der Wolf


Es gibt noch ein weiteres Problem mit der reinen Stimmung. Bereits Pythagoras (570–510 v.Chr.) kannte es. Er stimmte von C ausgehend alle Quinten rein. Nach 12 Quinten müsste man eingentlich wieder am C ankommen, nur 7 Oktaven höher. Das kannst du am Klavier nachvollziehen: C-G-D-A-E-H-F#-C#-G#-Eb-Bb-F-C.

Aber rechnen wir nach:
12 Quinten: 12 · 702 Cent = 8424 Cent
7 Oktaven:  7 · 1200 Cent = 8400 Cent

Das stimmt also nicht genau. Es gibt einen Unterschied von ca. 24 Cent, den man »pythagoreisches Komma« nennt. Pythagoras' Lösung war, die Quinte zwischen Gis und Es kleiner zu machen, damit es passt. Damit sind 11 von 12 Quinten rein, aber eine klingt so schief, dass man sie »Wolfsquinte« nennt (so wie ein Wolf heult).

         Vergleich reine Quinte und Wolfsquinte

Die temperierte Stimmung


Dass sich nicht alle Akkorde rein spielen lassen, ist ein großes Problem der reinen Stimmung. Man hat viele unterschiedliche Versuche unternommen, diesem Problem Herr zu werden. Ein gewisser Anreas Werckmeister und auch Andere haben im 17. Jahrhundert dazu zahlreiche Vorschläge gemacht. Ziel war es eine Stimmung zu finden, die von der reinen Stimmung nur so weit abweicht, dass unser Ohr sie noch als wohlklingend empfindet. Insbesondere die Quinten, Quarten und Terzen sollten so genau wie möglich sein.

So entwickelten sich die sogenannte »mitteltönige Stimmung«, verschiedene »Werckmeister Stimmungen« und etliche andere. Hier auf deren Details einzugehen würde allerdings den Rahmen sprengen (bei Interesse: Wikipedia). Eines ist ihnen allerdings gemein: Es lassen sich immer nur bestimmte Tonarten (fast) rein spielen oder sie klingen doch nicht rein genug - zumindest für die damaligen Musiker-Ohren.

Andererseits war es damals auch durchaus erwünscht, dass verschiedene Tonarten einen unterschiedlichen Klang-Charakter hatten. Ein C-Dur klang auf dem selben Instrument z.B. ganz anders als ein E-Dur – nicht nur bezüglich der Tonhöhe, sondern weil die Intervalle nicht genau übereinstimmten. Dennoch schränkte es den Rahmen der musikalischen Möglichkeiten stark ein, nicht alle Tonarten auf dem selben Instrument spielen zu können (ohne umzustimmen). So suchten man nach einer anderen Lösung.

Die gleichstufige Stimmung


Diese Lösung gab es bereits. Schon im 16. Jahrhundert wurden Lauten (die Vorläufer der Gitarren) oft so gestimmt, dass alle Halbtöne den gleichen Abstand hatten. Aber erst im 18. Jahrhundert, zu Bachs Zeiten, konnte sich diese Stimmung durchsetzen.

Bach schrieb damals ein Klavierwerk, das aus je einem Stück für jede Dur- und Moll-Tonart besteht: »Das wohltemperierte Klavier«. Diese Stücke ohne Umstimmen auf dem gleichen Instrument zu spielen, war nur möglich, wenn man es gleichstufig stimmte. Obwohl Bach »Das wohltemperierte Klavier« eigentlich gar nicht dafür geschrieben hatte, wird ihm die Popularität und Verbreitung der gleichstufigen Stimmung zugeschrieben. Man weiß aber noch nicht einmal genau, ob Bach wirklich die gleichstufige Stimmung benutzte, denn diese ist nur ein Spezialfall unter den temperierten Stimmungen.

Wie funktioniert die gleichstufige Stimmung denn nun eigentlich? Der Grundgedanke ist, die Oktave einfach in 12 gleiche Halbtöne zu teilen. Damit sind zwar alle Intervalle außer der Oktave nicht mehr rein, aber sie sind nur soviel verstimmt, dass man es tolerieren kann.

Bei (L) ist das im Diagramm veranschaulicht. Hier ist wieder der C-Dur- und C-Moll-Dreiklang blau und violett hervorgehoben. Man sieht, das die Quinte (blau) bis auf 2 Cent genau stimmt. Diese Abweichung ist so gut wie nicht mehr hörbar. Die Abweichung ist bei der Terz allerdings wesentlich größer. So klingt eine Terz in der gleichstufigen Stimmung nicht mehr wirklich rein, sondern man hört eine Schwebung (sh. Post #03). Das nimmt man allerdings dafür in Kauf, dass jetzt alle Tonarten ohne Umstimmen gespielt werden können.

Und nicht nur das! Alle Intervalle klingen überall gleich, egal von welchem Ton aus sie gespielt werden. Erinnern wir uns an das Beispiel (K) im Diagramm: Dort war die Quinte D-A »schief«, die Quinte C-G aber rein.

Und noch etwas: Durch die gleichstufige Stimmung fallen die erhöhten und erniedrigten Töne zusammen. Es gibt also nun keinen Unterschied mehr zwischen Cis und Des, Dis und Es usw. Das E-Dur aus dem Beispiel (K) klingt jetzt also genauso wie das C-Dur – außer dass es höher ist.

Jedes Intervall ist jetzt also überall gleich verstimmt, egal wo man es spielt. Hier noch einmal die Akkordfolge von oben – jetzt in gleichstufiger Stimmung:

         Akkordfolge in gleichstufiger Stimmung

Die Intervalle


Die nachfolgenden Hörbeispiele sind folgendermaßen aufgebaut:
  1. Intervall in reiner Stimmung (Sägezahn-Welle)
  2. Intervall in gleichstufiger Stimmung (Sägezahl-Welle)
  3. Intervall in reiner Stimmung (Klavier-Sound)
  4. Intervall in gleichstufiger Stimmung (Klavier-Sound)
Der Unterschied ist beim Klavier-Sound viel weniger hörbar, weil der Klavierklang selbst bereits Schwebungen besitzt, die die Schwebungen durch die Verstimmung teilweise überdecken.

Prime
Rein, ist ja der selbe Ton.

Kleine Sekunde
Hörbar verstimmt, da sie aber sowieso bereits recht dissonant klingt, fällt das nicht sehr ins Gewicht.

Große Sekunde
Fast rein, nur 4 Cent zu klein, Abweichung kaum hörbar.

Kleine Terz
Hörbar zu klein, aber gerade noch wohlklingend.

Große Terz
Hörbar zu groß, aber gerade noch wohlklingend.

Quarte
Fast rein, nur 2 Cent zu groß, Abweichung höchstens durch Schwebung hörbar.

Tritonus
Klingt sowieso schon so dissonant, dass die Abweichung nicht auffällt.

Quinte
Fast rein, nur 2 Cent zu klein, Abweichung höchstens durch Schwebung hörbar.

Kleine Sexte
Hörbar zu klein, aber gerade noch wohlklingend.

Große Sexte
Hörbar zu groß, aber gerade noch wohlklingend.

Kleine Septime
Fast rein, nur 4 Cent zu groß, Abweichung kaum hörbar.

Große Septime
Hörbar verstimmt, da sie aber sowieso bereits recht dissonant klingt, fällt das nicht sehr ins Gewicht.

Oktave
Rein.

Jedes Interval hat dabei eine typische Schwebung, die durch den Grad der Abweichung von den reinen Obertönen entsteht. Deshalb nennt man die gleichstufige Stimmung auch oft »gleichschwebende Stimmung«.
  • Prime, große Sekunde, Quarte, Quinte, kleine Septime, Oktave:
    keine oder fast keine Schwebung.
  • kleine und große Terz, kleine und große Sexte:
    hörbare, aber durchaus angenehm klingende Schwebung.
  • kleine Sekunde, Tritonus, große Septime:
    starke Schwebung, die man als Reibung empfindet.
Unabhängig davon ordnet man die Intervalle oft nach dem Grad des empfundenen Wohlklingens in die folgenden drei Gruppen (wobei die ersten beiden auch manchmal als »konsonant« zusammengefasst werden):
  • Reine Intervalle:
    Prime, Quarte, Quinte, Oktave
    klingen zwar rein, aber auch irgendwie leer oder hohl.
  • Konsonante Intervalle:
    kleine und große Terz, kleine und große Sexte
    wohlklingend, in gleichstufiger Stimmung mit angenehmer leichter Schwebung.
  • Dissonante Intervalle:
    kleine und große Sekunde, Tritonus, kleine und große Septime
    nicht wohlklingend, sich reibend.
Diese Einteilung ist allerdings sehr subjektiv und von den Hörgewohnheiten abhängig. Es hat z.B. sogar einmal eine Zeit gegeben, wo bereits die Quarte als dissonant angesehen wurde. Andererseits können sich auch Sekunden, Tritonus und Septimen durchaus angenehm anhören, je nach dem, in welchem Zusammenhang sie erklingen. Außerdem kommt es auch auf den Klang des Instruments an, welche Intervalle man als wohlklingend empfindet. Das hängt nämlich auch davon ab, wie obertonreich die Klänge sind (sh. Post #03). Obwohl diese Einteilung sehr gebräuchlich ist, halte ich deshalb persönlich nicht besonders viel davon.

Alles wird leichter


Viele Musiker haben damals große Kritik geübt, als sich die gleichstufige Stimmung verbreitete, denn der Charakter der verschiedenen Tonarten ist dabei verloren gegangen. Bei Gebrauch der reinen Stimmung hörten sich Stücke nämlich ganz anders an, wenn man sie in einer anderen Tonart spielte (manchmal auch fürchterlich schief). Das wird durch die leichten (oder weniger leichten) Verstimmungen verursacht, wenn man andere Tonarten spielt, als die in der das Instrument gestimmt wurde.

In der gleichstufigen Stimmung klingt es dem gegenüber immer gleich, nur die Tonhöhe ändert sich. Die leichte Verstimmung in der gleichstufigen Stimmung ist in jeder Tonart gleich.

Andererseit haben die Vorteile wohl überwogen, insbesondere auch dadurch, dass die erniedrigten und erhöhten Töne bei der gleichstufigen Stimmung zusammen fallen. Das nennt man »enharmonische Verwechslung«. So lassen sich alle Tonarten auf dem selben Instrument spielen. Es sind sogar doppelte Erniedrigungen und Erhöhungen möglich. Das braucht man manchmal in einigen Tonleitern. Man hängt bei dopplter Ernierigung dann noch ein »es« an den Namen an, bei doppelter Erhöhung ein weiteres »is«. (Beachte aber, dass es »Heses« heißt und nicht etwa »Bes« und dass es auch kein »Bis« gibt.)


Alles in allem ist es mit der gleichstufigen Stimmung erheblich leichter, ein Tasteninstrument zu spielen. So ist heute die gleichstufige Stimmung sozusagen Standard.

Intervalle hören


Es ist überaus wichtig für dich zu lernen, Intervalle zu hören und zu bestimmen. Es gibt Menschen, die ein sogenanntes »absolutes Gehör« haben – ungefähr jeder zehnte hat es – und man kann es anscheinend nicht erlernen. Sie können, wenn sie einen Ton hören, sofort sagen, ob es ein C oder ein D ist (wenn sie Musiker sind). Die anderen Menschen benötigen einen Ausgangston, den sie kennen, um anhand dessen einen anderen Ton am Intervall zu bestimmen. Absolutes Gehör hilft natürlich ein bisschen, ist aber keinesfalls notwendig, um Intervalle erkennen zu können. Absolutes Gehör hat übrigens auch nichts damit zu tun, ob man ein guter Musiker ist oder nicht.

Intervalle kann man erlernen. Und um sie zu lernen, merkt man sich am besten zu jedem den Anfang eines bekannten Lieds. Beispielsweise »Alle meine Entchen« für die große Sekunde, »Wachet auf, wachet auf« für die große Terz. Mache dir am besten eine eigene Liste. Spiele ein Intervall auf deinem Instrument, überlege welcher Song oder welche Melodie dir dazu einfällt, und merke es dir in der Liste. Lerne deine Liste auswendig – es sind nur 11 Songs, die Prime und die Oktave brauchst du wohl nicht, die hört man auch so schon. Bestimme außerdem ganz bewusst Intervalle in Liedern und probiere auch, Intervalle zu singen. Nach einiger Zeit wirst du Intervalle dann auch direkt erkennen können.

Zum Schluss hier noch ein Hörbeispiel, das ich im  Internet gefunden habe. Es ist der alte Choral »Wer nur den lieben Gott lässt walten«, einmal in reiner und einmal in gleichstufiger Stimmung gespielt:

   Choral in reiner Stimmung

   Choral in gleichstufiger Stimmung


Mit den bisherigen Posts haben wir die Grundlagen für die Harmonielehre erarbeitet. Manches mag dir vielleicht als nicht besonders wichtig erscheinen und du wartest auf mehr praktische Anwendungen. Ich finde jedoch, dass ein Musiker wissen sollte, was es eigentlich ist, was sie oder er da macht. Darum habe ich in den Grundlagen auch ein bisschen weiter ausgeholt und versucht zu vermitteln, welche Gesetzmäßigkeiten dahinter stehen und wie sich das Ganze entwickelt hat. Einiges davon werden wir nicht mehr weiter vertiefen. So wirst du hier z.B. nicht mehr viel über die reine Stimmung erfahren, denn wir werden uns in Zukunft auf die gleichstufige Stimmung beziehen.

Im nächsten Post werden wir mit Akkorden beginnen. Das kannst du dann auch direkt auf deinem Instrument umsetzen. Physik wird jedenfalls kaum noch ein Thema sein. Um ein bisschen Mathematik werden wir allerdings auch in Zukunft nicht herum kommen. Aber komplizierter als das Tortenteilen wird es nicht mehr.