20.09.2012

Harmonie #03 - Vom Ton zum Klang

Musik wird oft nicht schön gefunden,
weil sie stets mit Geräusch verbunden.
Wilhelm Busch

Im ersten Post habe ich etwas darüber berichtet, wie eine Luftschwingung zu einem Ton wird. Ein Ton ist damit aber noch lange nicht musikalisch. Auch ein Presslufthammer erzeugt Töne. Aber andererseits ist es jedem Komponisten oder überhaupt Musiker selbst überlassen, welche Töne er passend für seine Musik empfindet. Denn schließlich kann man auch das Knattern eines Presslufthammers musikalisch verwerten.

Ich möchte hier auf keinen Fall eine Wertung treffen, wie: Harmonie = gut, Disharmonie = schlecht, Geräusche = Krach. Musik lebt von dem Spannungsbogen zwischen Harmonie und Disharmonie. Das Eine gibt's nicht ohne das Andere. Man könnte auch sagen: Disharmonie = leicht, Harmonie = schwer. Das ist zwar in soweit richtig, dass zum Erzeugen von Harmonie bestimmte Regeln eingehalten werden müssen (wie im richtigen Leben). Aber Disharmonien gezielt musikalisch einzusetzen ist genauso schwer, denn auch hierfür gibt es Regeln.

Die Mutter aller Wellen


Eine Schallwelle bzw. ein Ton oder Klang lässt sich in Bestandteile zerlegen. Diese Bestandteile sind sogenannte »Sinustöne« oder »Sinuswellen«. Sie sind die einfachsten Formen aller Wellen und sie lassen sich nicht weiter zerlegen. Alle Töne sind aus solchen Sinuswellen aufgebaut.

   Sinuston

Die Sinuswellen, aus denen ein Ton besteht, addieren sich zusammen zu einem Klang. Reine Sinustöne kommen in der Natur eigentlich nicht vor (man kann sie aber elektronisch erzeugen), der Kang einer Flöte (oder einer Stimmgabel) kommt dem noch am nächsten. Sinuswellen treten fast immer gemeinsam mit anderen Sinuswellen auf und deren unterschiedliche Kombinationen machen den spezifischen Klang eines Instruments aus.

Die verschiedenen Sinustöne eines Klangs nennt man »Teiltöne« oder »Partialtöne«. Der tiefste dieser Teiltöne – also der mit der niedrigsten Frequenz – ist der »Grundton«. Auf seine »Grundfrequenz« werden alle anderen Teiltöne bezogen.

Der Begriff »Grundton« steht hier in physikalischem Zusammenhang. In musikalischem Zusammenhang bedeutet »Grundton« etwas anderes (aber ähnliches – dazu in einem späteren Post mehr).

Obertöne


Nun gibt es ganz bestimmte Teiltöne, deren Frequenz – also Tonhöhe – ein ganzzahliges Vielfaches der Grundfrequenz ist. Das heißt anders ausgedrückt: Das sind die Wellen, von denen mehrere gleiche exakt in die Wellenlänge des Grundtons hineinpassen. Diese ganzzahligen Teiltöne sind besonders wichtig und man nennt sie »Obertöne« oder »die Harmonischen«.

Ein Beispiel:
Der Grundton eines Klangs hat eine Grundfrequenz von 440 Hz.
Dann sind die Obertöne diejenigen mit ganzzahligem Vielfachen von 440 Hz:
1. Oberton: 2 · 440 Hz = 880 Hz, es passen genau 2 Wellen in die des Grundtons
2. Oberton: 3 · 440 Hz = 1320 Hz, es passen genau 3 Wellen in die des Grundtons
3. Oberton: 4 · 440 Hz = 1760 Hz, es passen genau 4 Wellen in die des Grundtons
4. Oberton: 5 · 440 Hz = 2200 Hz, es passen genau 5 Wellen in die des Grundtons
usw.
n-ter Oberton = (n+1) · 440 Hz
(Der Faktor 2, 3, 4... ist immer 1 höher als die Nummer des Obertons 1., 2., 3.)

   Die ersten 19 Obertöne (alle gleich laut)

Warum sind diese Teiltöne so wichtig? Unser Gehirn ist faul und rechnet nicht gern kompliziert. Es ist einfacher durch 2 zu teilen als durch 7 oder gar 3,756812. Die einfachen Dinge empfindet unser Gehirn als angenehm und harmonisch. Deshalb empfindet es auch den 2. Oberton harmonischer als den 7.



Torten teilen...


Du kannst das daran nachvollziehen, indem du dir vorstellst, wie leicht oder schwer es einem fällt, eine Torte in gleich große Stücke zu teilen:
  • Sie in 2 Stücke zu teilen ist ganz einfach.
  • In 3 Stücke zu teilen ist schon etwas schwieriger.
  • Das Teilen in 4 Stücke ist wieder etwas einfacher, liegt also zwischen 2 und 3.
  • 5 Stücke ist nicht mehr so einfach.
  • 6 ist wieder einfacher als 5.
  • 7 ist schon schwierig.
  • 8 wieder ziemlich einfach usw.
Wenn wir das so hintereinander schreiben, dass wir mit dem Einfachsten beginnen, erhalten wir die Reihe 2, 4, 8, 3, 6, 5, 7,... Und genau so empfinden wir auch: Der Oberton mit dem Faktor 2 (also der 1. Oberton) ist am harmonischsten zu seinem Grundton und dann wird es Schritt für Schritt weniger harmonisch: Faktor 4, 8, 3 usw.

...und zusammenfügen


Die Wellen des Grundtons und der Obertöne addieren sich zu einer neuen Wellenform, deren Frequenz die des Grundtons ist. Dabei können die Wellen der einzelnen Teiltöne auch gegeneinander verschoben sein. Das ändert den Klang nicht – zumindest nicht, solange sich das Maß der Verschiebung nicht während des Klangs ändert.



Obertonspektrum


Das »Obertonspektrum« macht den Klang eines Instruments aus. Der einer Flöte ist hat wenig Obertöne, der einer akkustischen Gitarre mehr. Ein Posaunenklang hat viele Obertöne, man sagt ein »reiches Obertonspektrum«. Das Obertonspektrum hat aber auch großen Einfluss darauf, wie harmonisch wir zwei Töne empfinden, die zusammen erklingen. Umso mehr gleiche Grund- und Obertöne sie haben, desto harmonischer klingen sie zusammen.

Obertonspektren von typischen Synthesizer-Tonerzeugern (Oszillatoren):

Die Dreieckwelle ist sehr obertonarm und kommt damit einer Sinuswelle sehr nahe.





Die Sägezahnwelle enthält alle Obertöne, die zu den Höhe hin immer schwächer werden.





Die Rechteckwelle enthält nur jeden zweiten Oberton.






Nicht-harmonische Teiltöne


Teiltöne, die in keinem ganzzahligen Verhältnis zum Grundtons stehen, sind gar nicht mehr harmonisch. Aber auch solche kommen durchaus in Instrumenten-Klängen vor. Ein Gong erzeugt beispielweise neben den harmonischen Obertönen auch eine ganze Reihe Teiltöne, die nicht harmonisch sind, aber ganz spezifisch für den Klang eines Gongs.

Auch die Zeit spielt eine Rolle


Die Teiltöne eines Klangs sind nicht alle gleich laut. Manche treten schwächer hervor, manche stärker, sogar manchmal stärker als der Grundton. Manche sind gar nicht vorhanden. Oft ist es allerdings so, dass die Teiltöne umso leiser sind, desto weiter sie vom Grundton entfernt sind.

Außerdem verändert sich das Obertonspektrum während der Klang erklingt. Die Teiltöne verklingen unterschiedlich schnell. Die hohen Teiltöne, die das Anreißen einer Gitarrensaite erzeugt, verklingen im Bruchteil einer Sekunde, während der eigentliche Ton – das sind hier Grundton und die weniger hohen Obertöne – langsam verklingt.

Geräusche


Neben den harmonischen Obertönen und den nicht harmonischen Teiltönen gibt es außerdem noch Geräusche. Auch sie setzen sich im Prinzip aus Sinuswellen zusammen, aber diese verändern sich so schnell und mehr oder weniger zufällig, dass wir keinen Ton empfinden. Das neutralste Geräusch ist ein sogenanntes »weißes Rauschen«. Das ist ein rein zufälliges Wellenmuster. Es gibt auch »rosa Rauschen« und »rotes Rauschen«, bei denen die Lautstärke zu den hohen Frequenzen hin unterschiedlich stark abnimmt.


Weißes Rauschen


Vom Weißen über Rosa bis Rotes Rauschen

Auch Geräusche gehören zum Klang, wie etwa das Geräusch des Anblasens einer Flöte. Auch das Zischen eines Beckens gehört mit dazu genauso wie die Verzerrungen bei einer verzerrten Gitarre – eigentlich auch das Klappern der Klaviertasten. Viele Schlag- und Percussion-Instrumente machen hauptsächlich Geräusche.

Bestandteile eines Klangs


Halten wir nun also fest, wir haben vier Bestandteile, aus denen sich ein Klang zusammensetzt: 

•  Grundton
•  harmonische Obertöne
•  andere, nicht harmonische Teiltön
•  Geräusche

Schwebungen


Wenn man zwei exakt gleiche Sinustöne gleicher Lautstärke zusammen spielt, ist es nicht gesagt, dass sich damit die Lautstärke verdoppelt. Das ist nur dann der Fall, wenn die beiden Wellen auch exakt gleichzeitig beginnen oder, anders ausgedrückt, im Diagramm exakt gleichzeitig die Nulllinie in der gleichen Richtung kreuzen. Man sagt, dass die Wellen »gleichphasig« sind oder die gleiche »Phasenlage« haben. In allen anderen Fällen ist es leiser, weil sich ein Teil der beiden Wellen gegenseitig auslöscht. Das geht soweit, bis man gar nichts mehr hört, wenn die beiden Wellen zwar wieder exakt gleichzeitig die Nulllinie kreuzen aber in verschiedener Richtung. (Dann kommt beim Addieren der beiden Wellen nämlich immer Null heraus.) Dann haben sie entgegengesetzte Phasenlagen.

Wenn man einen von zwei gleichen Tönen ein wenig verstimmt, entsteht eine sogenannte »Schwebung«. Man hört, wie sich der Klang periodisch verändert. Das liegt daran, dass auch hier Teile der beiden Wellen sich manchmal gegenseitig verstärken und manchmal gegenseitig auslöschen. Das ändert sich allerdings periodisch.

Auf der Abbildung hat die blaue Welle eine etwas höhere Frequenz als die grüne. Zuerst beginnen beide Wellen in gleicher Phasenlage, doch mit der Zeit verschiebt sich die Phasenlage der einen Welle zur anderen, weil sie ja nicht exakt gleich lang sind. Die Phasenlage verschiebt sich solange, bis sie entgegengesetzt ist. Dann kehr sich das Ganze um, bis die Wellen wieder gleiche Phasenlage haben. Das Ganze beginnt von vorn und als Ergebnis entsteht die orangefarbene Welle.

Die Geschwindigkeit der Schwebung wird durch die Differenz der Frequenzen der beiden Töne bestimmt. Wenn beide Töne exakt gleich sind, ist die Differenz null und man hört keine Schwebung. Wenn man nur ein klein wenig verstimmt, ist die Schwebung zuerst langsam. Sie wird aber immer schneller, je weiter man verstimmt.

   Verstimmen zweier Sinuswellen

Bei Sinuswellen hört man deutlich das Laut- und Leiserwerden der Schwebung. Wenn mann dagegen zwei Sägezahnwellen gegeneinander verstimmt, gibt es kaum eine Änderung in der Lautstärke. Stattdessen verändert sich der Klang. Das liegt daran, dass auch die Obertöne verschoben werden, allerdings jeder in einem anderen Frequenzverhältnis. Dadurch kommt es nicht mehr zu Komplett-Auslöschungen, sondern nur zu Auslöschungen einzelner Obertöne. Bei Keyboard und Gitarre kennt man das als »Chorus-Effekt«.

   Verstimmen zweier Sägeszahnwellen

Irgendwann wird es schneller als man wahrnehmen kann und man hört ein unsauberes, unharmonisches Brummen. Das Brummen liegt daran, dass die Schwebung selbst zu einem wahrnehmbaren Ton wird, wenn sie schneller als 20 Mal pro Sekunde ist. Denn dann tritt sie mit 20 Hz von unten in den Hörbereich unseres Ohres ein und wird als tiefer Ton hörbar. In den meisten Fällen steht dieser Ton aber in keinem harmonischen Verhältnis zu den beiden anderen Tönen. Der Gesamtklang wird rauh und unsauber – es klingt schief.

Obertöne in der Praxis


Es gibt musikalische Richtungen, in denen es besonders auf Obertöne ankommt, z.B. Obertonsingen, bei dem man bestimmte Obertöne durch die Form des Mundes und der Zunge verstärkt. Auch beim australischen Didgeridoo kommt es auf die Obertöne an. Im musikalischen Zusammenhang, insbesondere im gesanglichen, nennt man Obertonspektren auch oft »Formanten«.

Bei vielen Blasinstrumenten, sind die Obertöne noch auf ganz andere Weise wichtig. Durch verstärktes Hineinblasen springt der Ton sozusagen die Obertonreihe hinauf. Man nennt das »Überblasen«, Obertöne nennt man in diesem Zusammenhang auch »Naturtöne«. Manche Töne können insbesondere auf Hörnern, Trompeten und Posaunen nur auf diese Weise gespielt werden.

Auch im Zusammenspiel – z.B. in einer Band – sollte man die Obertöne der verschiedenen Instrumente im Hinterkopf behalten, wenn man einen ausgewogenen Sound haben möchte. Zwei Intrumentensounds mögen zwar jeder für sich gut klingen und auch »von den Noten her« zueinander passen, dennoch können sie sich beißen, wenn ihre Obertonspektren nicht zusammenpassen.

Auch für Schwebungen sollte man ein empfindliches Ohr haben. Oft sind sie gewollt und machen den Sound voluminöser, es klingt als würden aus einer Stimme viele. Oft sind sie aber auch ungewollt. Ein verzerrte Gitarre klingt erst dann richtig straight, wenn sie auf die gespielte Tonart »rein« gestimmt wird. Zu viele Schwebungen machen den Sound matschig. Dazu muss die Gitarre aber umgestimmt werden, wenn man eine andere Tonart spielt. (Das ist mit ein Grund, warum manche Gitarristen mehrere Gitarren auf der Bühne stehen haben.)

Ende der Reihe


Die Obertonreihe hat zwar kein Ende – sie kriecht sozusagen der Unendlichkeit entgegen, da die Abstände immer kleiner werden –, sie ist aber dennoch begrenzt, und zwar durch unser Ohr. Irgendwann wandern die Obertöne nämlich aus dem Hörbereich hinaus. Daraus folgt, dass man in der letzten hörbaren Oktave keine Klänge mehr unterscheiden kann – höchstens noch an den mit dem Klang verbundenen Geräuschen.

Mit diesem Post werden wir uns von der Physik erst einmal verabschieden. Das nächste Post wird bald folgen, es ist schon fast fertig. Wir werden uns dort mit den Grundbausteinen der Harmonielehre beschäftigen: den »Intervallen«. Bis dahin viel Spaß und immer den rechten Oberton!